Gillen, Dr. Otto
(geb. 26.10.1899, gest. 27.02.1986)
Dr. Otto Gillen wurde am 26. Oktober 1899 im thüringischen Greiz geboren. Da sein Vater ihn nach der Volksschule auf keine weiterführende Schule schicken wollte, nahm der junge Otto 1914 das Angebot der katholischen Kirche an, im besetzen belgischen Theux das Collegium zu besuchen. Dort wurde Gillen mit 17 Jahren eingezogen und kam im Sommer 1918 an die Front in Flandern und Nordfrankreich. Zurück in Deutschland legte er das Kriegsabitur ab und begann in Berlin Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte und Astronomie zu studieren. Während seines Studiums radikalisierte sich Gillen zusehends. Er schloss sich der Garde-Kavallerie-Schützen-Division an, einem Freikorps, der Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht 1919 ermordete. Des Weiteren war Gillen Teil des gescheiterten Knapp-Lüttwitz-Putsches im Jahr 1920.
In den darauffolgenden Jahren arbeitete er bei diversen Zeitungen als Volontär, wobei er die Städte und Stellen oft schon nach wenigen Monaten wechselte. Zwischenzeitlich verheiratet und Vater einer Tochter, ließ er sich scheiden und verließ die Familie. Im Jahr 1929 promovierte er in Kiel zum Doktor der Philosophie und schloss sich der „Niederschlesischen Allgemeinen Zeitung“ in Sagan, im heutigen Polen, an. Dort wurde die Verlegerfamilie Krause auf ihn aufmerksam und Karl Krause stellte ihn 1931 als Chefredakteur der „Goslarschen Zeitung“ ein. Gillen verheimlichte seine erste Ehe und heiratete die erstgeborene Tochter Karl Krauses. Er war als Chefredakteur auch für politische Artikel zuständig. Nachdem die NSDAP die Landtagswahlen in Oldenburg im Mai 1932 gewonnen hatte, schrieb Gillen „die nationale Freiheitsbewegung marschiert, und keine Macht der Erde vermag sie aufzuhalten“, die Partei sei „auf dem Weg zum sicheren Endsieg“. Des Weiteren schrieb er früh gegen jüdische Mitbürger („die Judenpresse hetzt“ „Denn das letzte Ziel der Juden ist die Erlangung der Herrschaft“) und forderte zwei Tage vor der Machtergreifung „Adolf Hitler muss mit der Kabinettsbildung beauftragt werden“. Gillen war 1931 in die NSPAD eingetreten und war mit lokalen Größen der Partei gut vernetzt. Im Juni 1934 endete seine Zeit in Goslar abrupt. Sein Abschlusszeugnis nannte ein Abschied „aus persönlichen Gründen“. Der eigentliche Grund jedoch war ein Gerichtsverfahren aufgrund „sittlicher Verfehlungen“ gegenüber „zwei neunjährigen Schülerinnen“. Er wurde zu einem Jahr und sechs Monaten Haft verurteilt. Da die Gerichtsakte eingestampft wurde, ist nichts weiter über den Prozess bekannt. Gillen verließ Goslar und schied sich von seiner zweiten Frau samt Sohn. Die Haftstrafe führte zum Ausschluss Gillens aus der NSDAP, den er 1938 in einem Brief an den obersten Parteirichter Walter Buch bat rückgängig zu machen. In dem Brief schrieb Gillen „von Natur aus kann ich nichts anders sein als Nationalsozialist“ und führte fort „für die Verbreitung und Vertiefung des nationalsozialistischen Ideengutes gewirkt“ zu haben. Seine Bitte wurde abgeschlagen aber nichtsdestotrotz veröffentlichte Gillen weiter Artikel in NS-Zeitungen in Wien. Unteranderem widmete er sich der Ausstellung „Entartete Kunst“ und bezeichnete diese als „umfassendes Bild von den wahnsinnigen Auswirkungen des Kunstbolschewismus im marxistisch-demokratischen Deutschland“. Im Jahr 1942 wurde Gillen Dozent an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, nachdem er zuvor nach erneutem Studium sein Staatsexamen in Deutsch, Geschichte und Kunstgeschichte abgelegt hatte. Ein Jahr später wurde er eingezogen und stieg bis zum Feldwebel auf. Im Februar 1945 geriet er in Kriegsgefangenschaft und wurde im Januar des darauffolgenden Jahres entlassen. Er ließ sich in Karlsruhe nieder und heiratete seine dritte Frau Elisabeth Gillen, geborene May. Am 14. Februar 1947 wurde Gillen verhaftet und ein Spruchkammerverfahren gegen ihn eingeleitet. Anfangs leugnete Gillen seine Parteimitgliedschaft doch da der Behörde sowohl sein 1938 verfasster Bittbrief als auch nationalsozialistische und antisemitische Zeitungsartikel vorlagen, war er gezwungen ein Geständnis abzulegen. Allerdings machte er keine Angaben zu seiner Verurteilung und schob die Schuld für seine Parteimitgliedschaft und Zeitungsartikel Karl Krause zu. Zudem gelang es Gillen entlastende eidesstattliche Erklärungen einzureichen, die ihn als oppositionell und „entschiedenen Antifaschisten“ bezeichneten. Er wurde als „Minderbelaster“ eingestuft und zu 2000 Mark Strafe, sowie 30 Tagen Sonderarbeit verurteilt. Die Strafe reduzierte sich letztlich auf 184.50 Mark und die Sonderarbeit wurde ihm ganz erlassen, da er während seiner Kriegsgefangenschaft einen schweren Herzfehler erlitten hatte. Im Jahr 1948 wurde Gillen als Feuilletonchef bei den „Badischen Neuesten Nachrichten“ eingestellt und hielt diese Position bis zu seinem Ruhestand 1973 inne. In seiner Zeit bei der BNN stieg Gillen zu einer angesehenen Persönlichkeit der Karlsruher Kunstszene auf. Bis zu seinem Tod im Jahr 1986 verblieb seine Vergangenheit im Dunkeln, nicht einmal seinem Sohn aus dritter Ehe Dr. Eckhart Gillen erzählte er von seiner Zeit in Goslar. Erst auf eigene Recherche Eckhart Gillens kam es zu einem Treffen zwischen den Halbgeschwistern und einer kritischen Aufarbeitung der Vergangenheit Dr. Otto Gillens.
Quellen
- Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe 465 h Nr. 47159 / Dr. Otto Gillen.
- Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe 465 h Nr. 47159 / Verhörleitender Kriminalsekretär
- Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe 520 Zugang 1981-51 Nr. 3035 (Gefängnisakte Dr. Otto Gillen).
- Gillen, Eckhart: Ich stand an den äußersten Horizonten des Lebens. Texte und Dokumente zu Leben und Werk von Otto Gillen (unveröffentlichtes Manuskript).
- Gillen, Otto: Ich will das Lied der Liebe singen: Feldpostbriefe an meine Braut 1943-1946, in: Gillen, Eckhart (Hrsg.): Kriegstagebuch 1945. Stein am Rhein 1999.