Erbgesundheitsgericht Karlsruhe
Mit dem „Gesetz zur Verhütung ‚erbkranken‘ Nachwuchses“ am 14. Juli 1933 wurden Erbgesundheitsgerichte eingeführt, welche formal rechtsförmig agierten und über die Zwangssterilisation (angeblich) kranker Personen entschieden. Für die Beschlüsse zur Sterilisation von rund 400.000 Menschen sollten reichsweit knapp 1700 Erbgesundheitsgerichte entstehen. Im September 1934 lagen allein am Karlsruher Erbgesundheitsgericht 557 Anträge auf Sterilisierung vor. Als „krank“ eingestuft wurden geistig und körperlich behinderte Menschen sowie psychisch Kranke („angeborener Schwachsinn“) und Alkoholabhängige. Den Antrag zur Sterilisation sollten Betroffene offiziell selbst stellen, dennoch wurde dieser zumeist von berechtigten Bezirksärzten und Anstaltsleitern oder Vormündern der Patienten gestellt. So wurden 456 der bis zum September 1934 in Karlsruhe gestellten Anträge nicht von den Betroffenen selbst eingereicht. Die Zwangssterilisation solch „Kranker“ wurde vom nationalsozialistischen Regime als eine „Tat der Nächstenliebe und Vorsorge für die kommende Generation“, um den „Volkskörper […] von kranken Organen oder Gliedern zu befreien“, propagiert. [1]
Eine Rechenaufgabe aus einem damals verwendeten Schulbuch verdeutlicht, wie das nationalsozialistische Regime „Erbkranke“ diskriminierte:
„Ein Erbkranker kostet dem Reich durchschnittlich täglich 2 1/4 Reichsmark, ein Volksschüler wöchentlich 2 3/10 Mark, ein Mittelschüler monatlich 12 Mark. Wievielmal soviel Kosten verursacht der Erbkranke gegenüber dem Volksschüler? Gegenüber dem Mittelschüler?“ [2]
Bis Mai 1945 wurde in solchen Erbgesundheitsgerichten die Zwangssterilisation von etwa 350.000 Menschen beschlossen. Im Personenverzeichnis vermerkte Personen, die sich dem Erbgesundheitsgericht stellen mussten sind unter anderem Anna Bätz, Albert Debach, Katharina Ebersoll und Alfred Schifferdecker.
Quellen
- Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, 572 Zugang 1988-10
- Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe 234 Nr. 3630, S. 8, S. 16f.
- Benzenhöfer, Udo: Zur Genese des Gesetzes zur Verhütung Erbkranken Nachwuchses, Münster 2006, S. 118 f.
- Freimüller, Tobias: Mediziner. Operation Volkskörper, in: Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945, hg. Von Norbert Frey, Frankfurt am Main 2001, S. 13-69
- Fischer, Detlev: Rechtshistorische Rundgänge durch Karlsruhe. Residenz des Rechts, Zweite Auflage, Karlsruhe 2011, S. 64
- Erbgesundheitsgerichte. Abgerufen am 28. Februar 2018.